Der Gran Paradiso und Mont Blanc

Der Gran Paradiso und Mont Blanc

Tag 1 Sonntag: Aufstieg zur Rifugio Vittorio Emanuel

Am Sonntag, den 2. Juli 2006 treffen wir uns um 10:00 Uhr in Chamonix.  Wir, das sind Marianne und Lothar Göbel aus Streitholz in Thüringen, Dagmar und Martin Gelszeit aus Osterrönfeld in Schleswig-Holstein und der Bergführer Edi Kumaropulos aus Vorarlberg. Edi, Sohn eines griechischen Vaters und einer Vorarlbergerin, ist seit 20 Jahren Bergführer und wird uns im Auftrag der Alpinschule Innsbruck auf die namhaften Gipfel Gran Paradiso und Mont Blanc führen.

In Chamonix wird erst einmal die Ausrüstung mit Steigeisen und Eispickel komplettiert, bevor es mit dem Auto durch den Mont Blanc-Tunnel in Richtung Aosta-Tal in Italien geht. Ziel unserer Fahrt ist Pont Val Savarenche auf 1.960 Metern Höhe.

In Pont angekommen, werden die Rucksäcke geschultert und es beginnt der Aufstieg zur Rifugio Vittorio Emanuel auf 2.732 Metern. Die Hütte ist das Basislager für den Aufstieg zum Gran Paradiso, der mit seinen 4061 Metern der höchste Berg Italiens ist.

In weiten Kehren geht es im schönsten Sonnenschein erst durch ein Wäldchen, später über Bergwiesen zur Hütte hinauf. Immer auf der Suche nach Steinböcken wandern unsere Augen unablässig in die Ferne. In diesem Gebiet sollen sie recht zahlreich vorkommen. Wie eine übergroße aufgeschnittene Regentonne taucht nach 2 ½ Stunden die Rifugio Vittorio Emanuelle auf. Nach dem Bezug unseres 5-Bett-Zimmers, das eng aber gemütlich ist, treffen wir uns erst einmal auf der Sonnen-Terasse der Hütte. Wir erfrischen uns mit Wasser aus dem Brunnen, Cola oder „Grande Bier“.

Nach dem 3-gängigen Abendessen, bestehend aus Pasta mit Tomatensauce, Schweinefleisch mit Brot und als Nachtisch Schokopudding, stellen wir noch die Steigeisen auf unsere Schuhe ein und besprechen den morgigen Tourenverlauf.

Entgegen der zu Hause gelesenen Reiseberichte, findet heute kein „Stelldichein“ der Steinböcke direkt vor der Hütte statt. Teilweise sollen die Steinböcke hier abends bis auf 20 Meter an die Hütte herankommen. Nur heute eben mal nicht!!!

Tag 2 Montag: Aufstieg zum Gran Paradiso

Der Tag beginnt für uns schon um viertel vor Vier. Um 4 wird gefrühstückt und um halb fünf starten wir schon in die Dunkelheit. Wir reihen uns in den Zug der Glühwürmchen ein und gehen ein gutes Stück über Blockgestein und Gletscherschliff der Morgendämmerung entgegen. Der Gran Paradiso ist mit 4.061 Metern der höchste Berg Italiens und damit der Berg der Italiener. So sind wir wahrhaftig nicht die einzigen, die den Weg mit Hilfe der Stirnlampen zurücklegen.

Am Gletscher angekommen, steigen wir in weiten Kehren empor bis wir schließlich die Steigeisen anlegen. Nach einer Weile binden wir uns nun auch zu einer Seilschaft ein und genießen während einer kleinen Pause die Aussicht.

Weil man den Paradiso-Gipfel erst spät sieht, sind schon Bergsteiger, dem Erzählen nach, auf dem Nachbargipfel La Tresenta gestanden, in der Meinung, sie wären auf dem Gran Paradiso. Wir aber sind zweifellos auf dem richtigen Weg, denn bei diesem herrlichen Wetter wollen heute viele Bergsteiger auf den höchsten italienischen Gipfel. Dann machen wir uns auf den Weg, um die letzten Höhenmeter  zurückzulegen.

Mittlerweile hat der Wind zugenommen und erzeugt in den Böen, zusammen mit einer Umgebungstemperatur von 0°, eine gefühlte Temperatur im zweistelligen negativen Bereich. Nur gut, dass wir warme Kleidung eingepackt haben.

Oben am Gipfel wird es erst einmal sehr eng. Seilschaften die sich schon früher als wir am Morgen auf den Weg gemacht haben, kommen nun auf ihrem Weg zurück, den nach oben stürmenden Bergsteigern entgegen. Hier oben auf dem höchsten Punkt des Gran Paradiso schmückt kein Kreuz, sondern eine weiße Madonnenfigur den Gipfel. Wir werden mit einem großartigen Blick auf die uns umgebende Gletscherwelt belohnt.

Wir erkennen in der Ferne die Gipfel der Schweiz wie Matterhorn, Monte Rosa, Duforspitze und Lyskamm sowie das Ziel der nächsten Tage, den Mont Blanc. Um dem Stau am Gipfel auszuweichen, geht Edi mit uns einen anderen Weg, der mit ein wenig Kletterei verbunden ist, zurück.

Nachdem wir den Gipfelbereich zurückgelassen haben, machen wir uns auf dem Anstiegsweg wieder auf den Rückweg. Die Sonne hat mittlerweile die bis dahin feste Schneedecke des Gletschers in ein weiches Schneefeld verwandelt, die uns bei jedem 2. Schritt bis zum Knie bzw. sogar bis zur Hüfte einsacken lassen. Damit ist es nur eine Frage Zeit, bis Schuhe und Strümpfe nass wurden, denn die Gamaschen befanden sich ja trocken im Rucksack.

Stolz und zufrieden pausieren wir am Ende des Gletschers, und freuen uns schon wieder auf das „Grande Bier“ und das Abendessen auf der Hütte, welches heute aus Pasta mit Tomatensauce, Gulasch mit Brot und Karamellpudding besteht.

Tag 3 Dienstag: Abstieg nach Pont und Fahrt nach Chamonix

Am Morgen stehen wir gegen 7 Uhr in aller Ruhe auf, denn es liegen nur der Abstieg nach Pont und die Autofahrt zurück nach Chamonix vor uns. Gemeinsam machen wir uns im frühmorgentlichen Sonnenschein auf den Weg hinab in das Tal. Wir haben Zeit die uns umgebende Natur zu bewundern und entdecken tatsächlich noch Steinböcke, Murmeltiere und Gämsen.

In Chamonix schauen wir uns das Bergsteigerdorf, welches schon eher eine kleine Stadt ist, an und besuchen  dann das Alpinmuseum und anschließend eine Ausstellung über Bergfotografie. Am Abend gewittert es. Die bisher sehr stabile Wetterlage scheint zu kippen.

Tag 4 Mittwoch: Aufstieg zur Refuge de Gouter

Nach einem reichhaltigen Frühstücksbuffet fahren wir mit dem Auto nach Les Houches und fahren von dort mit der Seilbahn zur Bellevue La Chalette auf 1.790 Metern Höhe. Von hier bringt uns dann die Tramway du Mont Blanc – kurz TMB - zum so genannten Adlerhorst in 2.372 Metern Höhe. Hier beginnt jetzt unser Aufstieg zur Refuge der Gouter auf 3.817 Metern Höhe, erst über leichte Kehren und dann über grobes Blockwerk.

Auf dem Weg wird uns vor Augen geführt, dass der Mont Blanc in eine andere Kategorie gehört als die Gipfel die wir zuvor bestiegen haben. Während unseres Aufstieges kommt uns nämlich eine Dreier-Seilschaft mit einem Verletzten am kurzen Seil entgegen, der wenig später von dem Hubschrauber der Polizei aufgenommen und in das Krankenhaus in Chamonix geflogen wird.

Nach 3 Stunden erreichen wir die Hütte Tete Rousse auf 3.167 Metern Höhe die wir aber nicht ansteuern. Stattdessen machen wir eine Pause und legen schon einmal die Klettergurte an, die wir auf dem weiteren Weg benötigen. Wenig später streben wir dem berüchtigten Grand Couloir zu, das einzeln und zügig gequert werden muss. Also Helme auf und los.

Das Grand Couloir ist eine stark steinschlaggefährdete Eisrinne, die möglichst vor der Mittagszeit durchstiegen sein muss, da sich später Steine im oberen Bereich lösen, die für Bergsteiger, die gerade diese Rinne durchqueren, eine tödliche Gefahr darstellen. Jedes Jahr lassen hier 5 – 10 Bergsteiger ihr Leben und in 2003 war diese Route komplett gesperrt. Wir haben jedoch keine Probleme und können die restlichen 600 Höhenmeter zur Gouterhütte in Angriff nehmen.

Es beginnt eine Kletterei I. bis II. Gerades die zur Gouterhütte hin mit Drahtseilen abgesichert ist.

Wir erreichen gegen 15:00 Uhr die Hütte. Gerade noch rechtzeitig, denn nur eine Stunde später zieht es dicht und es bricht hier oben ein Gewitter los dass die ganze Hütte erbeben lässt.

Die Hütte selbst bedarf einiger Gewöhnung. So gibt es hier kein Wasser zum Waschen und die Plumpsklos liegen außerhalb, so dass ein Fußweg von ca. 20 Metern durch den Schneesturm ansteht, wenn einen ein Bedürfnis plagt. Die Gouterhütte hat ca. 80 Schlafplätze, ist in der Regel jedoch doppelt belegt.

Die Wetterprognose für den nächsten Tag ist alles andere als positiv. Wir beschließen, den Aufstieg trotzdem zu versuchen und gehen schon gegen 20:00 Uhr zu Bett bzw. ins Lager, denn morgen früh um 2 Uhr beginnt für uns der Tag.

Tag 5 Donnerstag: Besteigung des Mont Blanc, 1. Versuch bis Vallot-Biwak

Schon um kurz vor 2 Uhr haben die anwesenden Bergführer und der Hüttenwirt über die Wetterlage beraten. Die Entscheidung lautet: … wir gehen. Also heißt es: Aufstehen und Frühstück um 2, Aufbruch um 3 Uhr. Wie erwartet, stürmt es ziemlich stark. In der Dunkelheit werden die letzten Vorbereitungen getroffen. Also Anseilen und Steigeisen an, denn unmittelbar hinter der Hütte beginnt der Gletscher. Das Thermometer zeigt nur -7° Grad an. Bei diesen Windstärken sind das aber gefühlte -20°. Mit Hilfe unserer Stirnlampen bahnen wir uns unseren Weg durch den Sturm. Es ist wirklich bemerkenswert, wie Edi den Weg in dieser Dunkelheit und bei diesen Bedingungen findet. Auf meine Frage hin, wie er das macht, antwortet er: „Mit Karte, mit Erfahrung, mit Gefühl und … GPS“.

Es hat schon etwas meditatives an sich, im Lichtkegel der Stirnlampe das Seil vor sich und in der Dunkelheit vor sich den Vordermann zu erahnen. Allein mit seinen Gedanken in einer Welt aus Dunkelheit und als Geräuschkulisse nur den starken Wind und die eigenen Atemgeräusche. Nach 2 ½ Stunden erreichen wir auf 4362 Metern das Vallot-Biwak, eine Schutzhütte, die schon manchem das Überleben ermöglicht hat. Auch wir gehen in das Biwak und warten für eine Stunde, ob der Sturm sich legt und so das Fortsetzen des Aufstiegs ermöglicht.

Leider legt sich der Sturm nicht und auch die Seilschaften, die wir auf dem Bosses-Grat ausmachen, haben allergrößte Schwierigkeiten, den heftigen Böen zu trotzen. Edi beschließt letztendlich, den Aufstieg abzubrechen und den Rückweg anzutreten. So machen wir uns, wenn auch schweren Herzens, auf den Rückweg zur Gouterhütte.

Auf dem Rückweg über den Dome de Gouter wird uns noch einmal vor Augen geführt, dass die Gefahr auf dieser Höhe allgegenwärtig ist. Eine Dreier-Seilschaft hat sich gestern im Schneesturm verirrt. Um zu überleben haben sie sich im Schnee eingegraben und so die Nacht, wenn auch stark unterkühlt, überstanden. Jetzt am frühen Morgen werden zwei von ihnen mit dem Rettungshubschrauber abgeholt, der bei den vorherrschenden Winden, jedoch auch erhebliche Schwierigkeiten hat.

Da durch die Wetterbedingungen viele Bergsteiger ihre Reservierungen für die nächste Nacht haben platzen lassen, können wir noch eine weitere Nacht hier bleiben, was uns einen 2. Versuch zur Besteigung des Mont Blanc ermöglicht. Wir gelangen schon um 9 Uhr morgens bei der Hütte an und liegen schon ab 11 Uhr in unseren Schlafsäcken, denn auch im Gastraum der Hütte herrschen gerade einmal 13°.

Tag 6 Freitag: Besteigung des Mont Blanc, 2. Versuch

Wecken wieder um 2 Uhr, Abmarsch um 2:45 Uhr. Das Wetter spielt mit. Zwar schneit es, der Wind hat jedoch stark nachgelassen. Wieder machen wir uns vor der Hütte mit Steigeisen und Eispickel fertig. Marianne hat sich entschlossen, heute nicht mitzugehen, da der gestrige Tag schon sehr kräftezehrend war.

Alles läuft planmäßig und wir liegen gut in der Zeit. Schon um 5 Uhr befinden wir uns am Vallot-Biwak, unser gestrigen Umkehrstation. Ab hier gehen wir am kurzen Seil. Über den Bosses-Grat erreichen wir um 7:30 Uhr den höchsten Berg der Alpen, den Mont Blanc. Leider haben wir keine Sicht, - aber, der Weg ist das Ziel -. Ein wenig später trifft noch eine italienische Dreier-Seilschaft ein.

Nach diesem Gipfelerlebnis, steigen wir auf dem gleichen Weg wieder hinab zur Gouter-Hütte, wärmen uns kurz bei einer Tasse Tee auf und klettern dann mit Steigeisen an den Stiefeln die 600 Meter zum Grand Couloir hinab. Der Abstieg mit Steigeisen ist recht gewöhnungsbedürftig gibt aber doch Sicherheit. Zügig kommen wir trotz der widrigen Bedingungen voran. Heute, am Freitag sind wieder mehr Bergsteiger zur Gouter-Hütte auf dem Weg, so dass teilweise kleinere Staus umstiegen werden. Auch am Grand Couloir herrscht reger Andrang aber wir kommen recht zügig hindurch.

Nun geht es nur noch bis Chamonix hinab wo wir einen gemütlichen Abend im Hotel verbringen.

Tag 7 Samstag: Abschied

Ein klein wenig wehmütig zu Mute wird uns nun doch, aber zurück liegt eine Woche mit atemberaubenden Ausblicken auf eine faszinierende Bergwelt. Und wer weiß - Vielleicht sehen wir uns ja alle einmal wieder?