Martell in Südtirol

“Gipfelfest in Südtirol“

Bergtouren im Bereich der Zufallhütte im Martelltal in Südtirol vom 1. bis zum 10. September 2009

1. September 2009

Für die diesjährige gemeinsame Bergtour haben wir uns zu Standorttouren im Bereich der Zufallhütte im Martelltal in Südtirol entschlossen. Wir, das sind Annette und Wolfgang, Andrea und Heidrun, David, Dagmar und ich. Zu siebent wollen wir elf Tage lang die Marteller Berge erobern. Die Zufallhütte, unsere Unterkunft für die nächsten Tage, liegt im Abschluss des Martelltals auf einer Höhe von 2.264 Metern. Alle sind schon am Vortag auf der Hütte angekommen. Heidrun wurde von Ihren Eltern, Liselotte und Gerd Hansen, von denen wir uns heute schon verabschieden, hinauf begleitet. Es hat schon eine gewisse Tradition, dass die Beiden uns zu einem Zeitpunkt während der Touren der letzten Jahre besuchen.

Da sich alle gut auf die gemeinsame Zeit vorbereitet haben, soll uns unsere erste Wanderung hinauf zur Eisseespitze führen. Am Wegesrand passieren wir die Kühe, die letzten Sonnenstrahlen des Sommers genießen. Bald geht es wieder für mehrere Monate zurück in den Stall, denn der Almabtrieb steht kurz bevor. Wir wandern im strahlenden Sonnenlicht durch eine urtümlich von Gletschern geprägte Welt. Die End- und Seitenmoränen bilden den Untergrund für eine durchaus vielfältige Pflanzenwelt. Aufgrund der Höhe ist die Vegetation jedoch schon in Herbststimmung, so dass viele Pflanzen schon verblüht sind bzw. am verblühen sind. Aber trotz der weit fortgeschrittenen Vegetation treffen wir noch blühende Exemplare des Feldenzians, des Ebereisblättrigen Greiskrauts oder Kreuzkrauts und des Eisenhuts.

Das Martelltal ist ein Seitental des Vinschgaus. Nach der letzten Eiszeit soll es in Martell mehrere größere Seen gegeben haben, deren Ausbruch das Tal in die heutige Form gebracht haben soll. Der genaue Zeitpunkt der ersten Besiedelung ist unklar. Die ersten Menschen, die nach Martell kamen, waren mit großer Wahrscheinlichkeit Hirten. Die ersten Gebäude entstanden auf den Almen und an den Berghängen im 5. und 6. Jahrhundert, denn die Talsohle war sumpfig und wurde öfters von Überschwemmungen heimgesucht. Die erste Dauersiedlung wird um die Zeit von 1100 vermutet.

Der Tourismus hat im Martelltal bescheidene Ausmaße beibehalten. Erfolgreich wehrten sich hier die Bauern gegen die Errichtung von Aufstiegsanlagen. So finden sich in Martell im Winter nur einzelne Besucher, Wintersportort im eigentlichen Sinn ist Martell keiner. Im Sommer besuchen vor allem Tagesausflügler das Tal

Immer wieder in der Geschichte von Martell gab es große Überschwemmungen. Die Gletscherzungen bildeten wiederholt natürliche Dämme, hinter denen sich das Schmelzwasser in "Wasserstuben" sammelte, bis es dann zum Ausbruch kam. So gab es große Überschwemmungen als der große Schmelzwasserfluss im Juni einsetzte. Deshalb wurde in den Jahren 1892 und 1893 eine große Schutzmauer gebaut, die heute noch sichtbar ist und seinerzeit die größte ihrer Art im gesamten Alpengebiet war. Bereits 1894 bewährte sich die Mauer zum ersten Mal und bewahrte das Tal vor einer weiteren großen Überschwemmung. Die zwei großen Rinderalmen, wurden erst nach Bau des Zufritt-Stausees neu errichtet. Die alten Almen befanden sich auf dem heutigen Areal des Stausees und dürften sehr alt gewesen sein. So fanden sich hier sehr alte Gegenstände aus dem Hirtenalltag. Diese mussten das Vieh, vor allem die Schafe, noch vor Raubtieren beschützen. Die Almhütten waren einfache Blockbauten. Neben den zwei Almen fielen dem Stauseebau ein Wohnhaus und ein Gasthaus zum Opfer. Nach Vermessungen und Planungsarbeiten in den 40er Jahren wurde der Stausee in den Jahren 1954 und 1955 erbaut, dem kostbares Weideland zum Opfer fiel. Doch schlimmer als der Verlust des Bodens ist die Überschwemmungskatastrophe vom August 1987. Durch das Öffnen der Schleusen wurden ungeheure Schäden angerichtet. In Gedenken an diese dunklen Stunden, in denen viel Hab und Gut, aber zum Glück kein Leben verloren ging, wurde eine Gedenkstätte errichtet. Alljährlich findet hier eine Andacht statt.

Martelltal, das sind in erster Linie köstliche Beeren. Tatsächlich brachte die Modernisierung in der Landwirtschaft durch Einsatz neuer Maschinen, sowie die Umstellung auf den Obst- und Gemüsebau dem Tal einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. So werden heute in Martell Karfiol, eine eigene Radicchiosorte, Kartoffeln und vor allem verschiedene Beerensorten angebaut. Neben den bekannten Erdbeeren finden sich in Martell Himbeeren, sowie rote und schwarze Johannisbeeren. Der "Beerenkultur" zur Ehre findet seit einiger Zeit das jährliche Erdbeerfest statt. Durch das günstige Klima gedeihen die Beeren bis ins hintere Martelltal, wo die Ernte in guten Jahren bis Ende September anhalten kann. Dies ist auch den zahlreichen Erntehelfern aus Osteuropa recht, denn so können sie sich nach der Erdbeerernte direkt bei der Apfelernte in den Nachbargemeinden verdingen. Neben dem relativ jungen Obst- und Gemüseanbau, besteht in Martell weiterhin die Viehwirtschaft. Neben dem Milchvieh floriert die Schafzucht (gut 1500 Stück).

An einem kleinen Bergsee machen wir eine kleine Pause und genießen unseren ersten Tag in den Marteller Bergen. Wir beschließen, auf dem Rückweg hier wieder vorbei zu kommen um dann länger zu verweilen. Nun liegt die Eisseespitze vor uns. In Kehren geht es über grobes Geröll zum Grat hinauf ehe wir links in Richtung Gipfel abschwenken. Am Grad angekommen haben wir schon beeindruckende Blicke auf den Ortler und auf Sulden, dem Ausgangsort vieler Besteigungen des Ortlers. Nun geht es die letzten Höhenmeter in leichter Kletterei zum Gipfel hinauf.

Am Gipfel machen wir eine ausgiebige Rast und genießen die Ruhe, das schöne Wetter und den prächtigen Blick auf die Zufallspitzen und den Monte Cevedale. Auf der anderen Seite haben wir freien Blick auf den Zebrú und auf den Ortler, dem höchsten Berg Südtirols. Etwas weiter links schauen wir auf die Königspitze oder auch Gran Zebrú wie er in Italien genannt wird. Wenn das Wetter mitspielt, werden wir den Monte Cevedale, den dritthöchsten Gipfel der Ortleralpen in den nächsten Tagen besteigen. Hierzu hat Wolfgang schon mit Hubert Wegmann, einem Bergführer der Alpinschule Sulden, Kontakt aufgenommen. In der Ferne erkennen wir die Casatihütte, den Ausgangspunkt für unsere Cevedale-Besteigung.

 Nach diesen schönen Augenblicken verlassen wir die Eisseespitze und machen uns auf einer etwas abgeänderten Route auf den Heimweg zur Hütte. An dem vom Aufstieg schon bekannten klaren Bergsee in 2.825 Metern Höhe machen wir noch einmal Rast, baden die Füße im kristallklaren jedoch eiskalten Wasser und lassen uns von den wärmenden Sonnenstrahlen verwöhnen.

2. September 2009

Der heutige Tag beginnt mit einem wolkenverhangenen Himmel. Als Tagesprogramm ist heute die Besteigung der Madritschspitze vorgesehen. Gegen 8:15 Uhr starten wir an der Zufallhütte. Das Madritschtal steigt nur mäßig an. Über einen gut sichtbaren aber nur wenig markierten Weg  steigen wir dem Talschluss entgegen.

Während wir langsam an Höhe gewinnen klart der Himmel auf. In einigen Kehren gemütlich und später dann steil über Fels steigen wir dem Madritschjoch entgegen. Von der Ferne können wir schon erkennen, dass es dort oben mit der Ruhe und Beschaulichkeit vorbei sein wird, denn wir können einige Wanderer ausmachen. Als wir das Madritschjoch erreichen, stellen wir fest, dass wir wahrlich nicht die Einzigen sind, die das schöne klare Wetter ausnutzen. Wir werden von einem Stimmengewirr empfangen. Von Sulden her verkürzt eine Seilbahn den Aufstieg, so dass die Schöntaufspitze relativ leicht über das Madritschjoch erreicht werden kann. Daher ist der Weg zur Schöntaufspitze häufig begangen. Wir entgehen dem Trubel indem wir den Weg zur Madritschspitze einschlagen. Hier ist es schon wesentlich einsamer.

Auf diesem Weg begegnen wir zum ersten Mal den „Gelbkappen“, eine Männertour aus Deutschland, die uns die nächsten Tage noch einige Male über den Weg laufen werden. „Gelbkappen“ nennen wir sie, da alle als Erkennungszeichen eine gelbe Baseballkappe mit Werbeaufschrift eines Campingplatzes in Ostdeutschland tragen. So sind sie immer schon auf einiger Entfernung zu erkennen. Schlüsselstelle dieser Kletterei ist der Einstieg. Wenn hier nicht die richtige Stelle erkannt wird, dann ist die Klettertour schon zu Ende bzw. kann sie richtig ungemütlich werden. So geben zwei der sechs „Gelbkappen“ schon am Einstieg auf. Wir jedoch finden Dank Wolfgang den richtigen Weg und wir bewegen uns im 1. und 2. Klettergrad was allen viel Spaß macht. Der Weg erfordert einige Konzentration, da ein paar Stellen ziemlich ausgesetzt sind.

Als wir am Gipfel ankommen, werden wir schon von einer Gruppe erwartet, die über den Normalweg, einem einfachen Wanderweg, vor uns oben angekommen sind. Am Gipfel machen wir erst einmal Rast bevor wir dann wieder den Abstieg über den Normalweg in Angriff nehmen.

Für Morgen, den Donnerstag, ist schlechteres Wetter vorhergesagt. Die Wetterprognose trifft dann auch tatsächlich so ein und es nieselt den ganzen Tag mal mehr, mal weniger stark. Nichtsdestotrotz beschließen wir, am morgigen Tag, die Vordere Rotspitze mit ihren 3.023 Metern Höhe zu besteigen. Es wird ein ständiger Wechsel der Oberbekleidung. Mal Regenjacke an – mal Regenjacke aus. Erst bei der Einkehr in der Marteller Hütte werden wir aufgrund der Gastfreundlichkeit und der leckeren Speisen wieder warm. Als wir zur der Zufallhütte zurückkommen, werden aufgrund der Wetterprognose für Morgen, den Freitag, gerade die Kühe von den oberen Hängen nach unten getrieben, denn für das Wochenende ist der große Almabtrieb geplant.

Der Freitag dient uns allen der Erholung, denn es herrscht Dauerregen. Wir verbringen fast den ganzen Tag in der Hütte mit Lesen, Spielen, Schlafen oder einfach nur aus dem Fenster gucken. Erst am späten Nachmittag klart es etwas auf so dass wir mit ständigem Blick gen Himmel zu unseren Autos absteigen und eine kleine Versorgungstour unternehmen. Die angekündigte Kaltfront ist jedoch noch nicht durchgezogen und wird für die Nacht erwartet.

5. September 2009

Die angekündigte Kaltfront ist über Nacht durchgezogen und hat uns in den größeren Höhenlagen frischen Schnee beschert. So sehen die Gipfel wieder viel schöner aus. Die Temperaturen sind stark gesunken – also ist erst einmal wärmere Kleidung angesagt.

Heute wandern wir nur zu fünft. Annette ist für einen Tag zu einer Viehauktion in Chur und David verlässt heute aus beruflichen Gründen unsere Truppe. Unser Ziel ist für heute die Vertainen-Überschreitung. So früh am Morgen befindet sich noch Raureif auf den Gräsern und auf den exponierten Geländeflächen liegt noch Schnee. Dieser hält sich sogar noch da die Umgebungstemperaturen  noch sehr niedrig sind. Es ist eine schöne klare Luft und wolkenloser Himmel. Die Aussicht auf die Veneziaspitze ist wirklich imposant. Wenn das Wetter mitspielt wollen wir in den nächsten Tagen auf die Cima Marmotta, einem Nachbargipfel der Veneziaspitzen steigen.

Der Weg führt zunächst auf markierten Pfaden, später jedoch weglos über die grünen Hänge der Vertainen. Die Vertainen sind eigentlich eine Gruppe von Erhebungen, die das Madritschtal zum Norden hin begrenzen.  Am Gipfel angekommen genießen wir die schöne Aussicht. Allerdings müssen wir uns wärmer anziehen, denn hier oben hat es gerade 2 Grad Plus und es weht ein heftiger Nordwind. Den ganzen Tag wird es so kalt und windig bleiben.

Wir können von dieser tollen Aussicht gar nicht genug bekommen. Die Hintere Rotspitze am Taleingang des Martelltals sowie die gesamten Marteller Berge liegen vor uns.

Über den Grat geht es nun zur nächsten Vertainenspitze in Richtung Westen. Hier oben liegt deutlich mehr Schnee und die Felsen sind zum Teil vereist. Hierdurch ist der Weg auf den felsigen Passagen stellenweise recht glatt. Immer wieder müssen wir uns den Weg suchen, denn Markierungen sind hier nur noch in Form von Steinmännchen zu finden. Und auch die sind sehr spärlich vorhanden. Oft erkennen wir sie erst, wenn wir direkt vor ihnen stehen. Zumindest wissen wir so, dass wir auf dem richtigen Weg sein müssen. Nach einem kurzen Abstecher in das Perdetal steigen wir über eine Scharte zurück in das Madritschtal. Hier können wir interessante Wasserspiele in dem gefrorenen Bachbett beobachten.

Als wir im Talkessel des Madritschtals ankommen machen wir eine kurze Pause und überlegen, was wir mit dem restlichen Tag anfangen. Es ist ja gerade einmal Mittagszeit. Also wenden wir uns wie schon ein paar Tage zuvor, dem Madritschjoch zu um von hier aus die Schöntaufspitze mit ihren 3.325 Metern Höhe zu besteigen. Diesen Weg kennen wir schon von dem Aufstieg zur Madritschspitze. Nur dieses Mal werden wir uns am Joch in den Strom der Seilbahnfahrer einreihen. Der Schönheit der uns umgebenden Bergwelt tut das jedoch keinen Abbruch.

Ab dem Joch ist es ein einfacher Anstieg in Kehren über Schotter und kleineres Gestein, den viele Wanderer gehen. Um dem heftigen und kalten Wind auszuweichen, suchen wir hinter einer kleinen Steinmauer Schutz. Hier können wir in der wärmenden Sonne die Bergwelt gemütlich bewundern. Am Gipfel erwartet uns wirklich eine phantastische Aussicht auf die Berge des Ortlermassivs oder wie sie auch genannt werden - die Ortleralpen.

Für Heute haben wir nun genug getan. Wir steigen in 2 Stunden die 1.100 Höhenmeter zur Zufallhütte hinab und freuen uns schon auf das gute Abendessen. Der heutige Tag wird von allen zu einem Duschtag erklärt.

 

6. September 2009

Heute Morgen schultern wir den Tourenrucksack, denn wir starten zu unserer Zwei-Tagestour zur Casati-Hütte mit der anschließenden Besteigung des Monte Cevedale am Folgetag auf. Wir haben den Sitzgurt, die Steigeisen und warme Kleidung dabei. Wolfgang hat diese Tour mit dem Bergführer Hubert vom Suldener Bergsteigerbüro arrangiert. Wolfgang kennt Hubert, der uns vor der Hütte erwartet hat, schon von früheren Touren im Ortler-Gebiet.

Langsam aber stetig steigen wir im Tal des Langenferners in Richtung Eisseepass auf. Die Temperaturen sind immer noch sehr niedrig. Hier und da ist der Fels noch mit Eis überzogen, das jedoch in der aufsteigenden Sonne anfängt zu schmelzen. Hubert geht mit einem sehr konstanten Schritt und Minute um Minute gewinnen wir an Höhe. Die Nächte sind in dieser Höhe immer sehr kalt. Aber noch schafft es die Sonne, mit ihren wärmenden Strahlen die erstarrte Welt langsam aufzutauen.

Am Weg finden wir allerlei Spuren aus dem 1. Weltkrieg. Von einfachen Steinmauern bis hin zu verfallenen Holzunterkünften und sogar Granaten wird hier oben alles der Verwitterung preis gegeben. Die große Gebirgsschlacht des Ersten Weltkriegs hat der Ortlergruppe zweifellos seinen traurigen Stempel aufgedrückt. In den Jahren 1915 bis 1918 befestigte Österreich den Grenzpass am Langenferner Joch und errichtete mit einer Steinunterkunft den Urbau der heutigen Casati Hütte.

Im Ersten Weltkrieg herrschte hier ein großangelegter Stellungskrieg in gebirgigem Gelände an der Grenze zwischen Österreich-Ungarn und Italien. Er war als Gebirgskrieg in den Alpen in seiner Art einmalig. Die Front befand sich zum größten Teil in gebirgigem Gelände und stellte somit besondere Anforderungen an die Kriegsführung (vgl. Gebirgskrieg). So musste buchstäblich jede Wasserflasche und jedes Stück Feuerholz von Maultieren in die Stellungen transportiert werden. Da ab dem Winter 1916/17 die Pferde und Maultiere auf Grund von Futtermangel kaum noch leistungsfähig waren, wurden diese mehr und mehr durch elektrisch betriebene Seilbahnen bzw. Zugverbindungen ersetzt.

Besondere Gefahren drohten den Soldaten beider Seiten nicht vom Feind, sondern durch die Natur. Teilweise kamen mehr Soldaten durch Lawinen, Felsstürze und sonstige Unfälle ums Leben als durch feindlichen Beschuss. Aufgrund des schwierigen Geländes wurde auch wieder auf den Minenkrieg zurückgegriffen, wobei feindliche Stellungen, zum Teil sogar ganze Berggipfel, untergraben und in die Luft gesprengt wurden. Beide Seiten hatten aufgrund der ungeheuren Strapazen und Entbehrungen mit Disziplinproblemen bis hin zur Desertation zu kämpfen.

Um die Casatihütte auf 3.269 Metern Höhe zu erreichen, müssen wir einen Gletscher überqueren. Also legen wir die Steigeisen und den Sitzgurt an und binden uns zu einer Seilschaft ein. Zu unserer Linken liegt unser Ziel für Morgen. Hubert schlägt vor, dass wir, wenn alles gut klappt, den Cevedale, die Zufallspitzen und die „Drei Kanonen“ besuchen. Uns steht die Vorfreude ins Gesicht geschrieben. Hubert geht mit uns nicht die Normalroute sondern mitten durch ein Labyrinth aus Gletscherspalten. Wir erleben spannende Augenblicke. Gegen 13:00 Uhr erreichen wir die Casatihütte. Sie liegt inmitten von einem Ring aus Stacheldrahtresten aus Kriegszeiten.

Nachdem wir uns auf der Casatihütte ein wenig gestärkt haben, erklimmen wir noch den Hausberg der Casati-Hütte, die Suldenspitze. Die Suldenspitze ist 3.376 Meter hoch und bietet einen schönen Blick auf Sulden bis hin zum Reschensee und auf unseren morgigen Weg – dem Aufstieg zum Monte Cevedale. Auch hier oben finden sich die Reste ehemaliger Verteidigungsstellungen aus dem Bergkrieg. Eine alte Lafette aus Stahl statt hölzernes Gipfelkreuz – na gut! Hubert erläutert uns die Namen der uns umgebenden Gipfel und Gletscher und gibt sich große Mühe. Wenn ich doch nur ein Bruchteil davon behalten könnte.

Wieder zurück an der Hütte genießen wir noch die Nachmittagssonne auf der Hüttenterrasse. Unser Zimmer, das ein wenig klamm ist, haben wir für uns alleine. Die Verpflegung lässt jedoch trotz der 49 Euro teuren Halbpension zu wünschen übrig. Nach dem Abendessen erleben wir noch einen Sonnenuntergang wie man ihn wohl nur in den Bergen beobachten kann. Schön leuchten die uns umgebenden Berge im verblassenden Sonnenlicht.

7. September 2009

Um 6:30 brechen wir von der Casati-Hütte auf. Heute gehen wir von Anfang an in Seilschaft, da der Gletscher einige Spalten hat. Der Monte Cevedale mit seiner Höhe von 3.778 ist nach Ortler und Königspitze der dritthöchste Berg des Ortlermassivs und der höchste Berg des Trentinos. Ihm nordöstlich vorgelagert sind die Südliche Zufallspitze und die nördliche Zufallspitze mit jeweils 3.757 Metern und 3.700 Metern Höhe. Die Südliche Zufallspitze markiert das Dreiländereck der italienischen Provinzen Trentino, Südtirol und Sondrio.

Am 7. September 1865, also auf den Tag genau vor 144 Jahren, bestieg Julius Payer mit seinen Führern Pinggera und Reinstadler als Erster den Cevedale über das Langenferner Joch, obwohl ihn die Senner der Alpe Forno vor den "gar grässlichen Gefahren" gewarnt hatten. Da die alternativen Gipfelanstiege von der Marteller Hütte (2580 m) über den Fürkele-Ferner und den Nordwestgrat oder von der Brancahütte (2487 m) über den Südgrat nur etwas schwieriger als der Normalweg sind und ebenfalls bis nahe an den Gipfel mit Ski begangen werden können, bietet sich der Monte Cevedale für lohnende Überschreitungen an.

Unser Weg führt uns in moderater Steigung über den Gletscher. Vorbei an beeindruckenden Gletscherspalten mit Blicken bis tief hinab in den Gletscher. Wir sind nicht die einzige Seilschaft an diesem Tag. Mit der zunehmenden Sonne streben wir dem Monte Cevedale entgegen. Der Monte Cevedale gilt als höchster Skitourenberg der Ortlergruppe, weil er bei guten Verhältnissen mit Ski bis zum Gipfel bestiegen werden kann. Die Aufstiege sind nur mäßig schwierig, führen jedoch alle über Gletscher und erfordern Vorsicht vor Gletscherspalten und entsprechende Ausrüstung. Bevor wir den steilen Anstieg in Angriff nehmen machen wir eine kurze Trinkpause. Die ersten Seilschaften sind schon oben am Gipfelgrat angekommen. Im kalten Schatten des Cevedale steigen wir in einer schmalen Spur sehr konzentriert dem Gipfel entgegen. Eine kleine Unachtsamkeit kann hier fatale Folgen haben, denn der Gletscher fällt zur Rechten im Winkel von 45 Grad ab. In diesem steilen Abschnitt gilt es nun eine große Randkluft zu übersteigen. Zur Sicherheit schlägt Hubert einige sichere Stufen in das Eis auf denen wir und die nachfolgenden Seilschaften uns sicher bewegen können.

Am oberen Grat angekommen schlägt Hubert zu unserer aller Verwunderung den Weg zur südlichen Zufallspitze ein. Na gut, dann besteigen wir den Cevedale halt nicht. Wir waren ja schließlich fast oben – aber eben nicht ganz. Nun geht es erst wieder ein Stück hinab um dann den Gegenanstieg zum Gipfel der südlichen Zufallspitze zu beginnen. Hubert schlägt wieder Stufen ins Eis. Den Grund hierfür erfahren wir später beim Abstieg. Denn wenn die Stufen im Aufstieg auch kaum helfen, so gelangen wir im Abstieg jedoch umso sicherer und zügiger wieder hinab. Der Wind weht heftig in dieser Höhe. Ständig wehen und kleine Eispartikel ins Gesicht. Um zum felsigen Gipfel zu gelangen müssen wir die letzten Meter mit Steigeisen im 2. Klettergrat zurücklegen.

Erst am Gipfel der Zufallspitze angekommen, müssen wir uns auch schon wieder beeilen. Denn eine weitere Seilschaft ist der von Hubert gelegten Spur gefolgt und drängt von hinten nach. So steigen wir auf der anderen Seite des Gipfelaufbaus in leichter Kletterei wieder hinunter.

Entgegen unserer Vermutung, die Zufallspitze nun in direktem Weg in Richtung der „3 Kanonen“ zu verlassen, führt uns Hubert über unsere deutliche Spur hinüber zum Monte Cevedale. Also doch. Hubert wollte nur dem morgendlichen Gedränge auf dem Gipfel entgehen. So haben wir den Gipfel fast für uns alleine. Wir legen die Rucksäcke ab und genießen die großartige Rundumsicht mit Blicken auf Ortler und Königsspitze nach Nord-Westen und den hohen Gletscherbergen im Süden und Süd-Osten. Hier oben stellen wir fest, dass Heidrun ihre Gletscherbrille auf der Casati-Hütte zugesetzt hat. Der Aufenthalt in dieser Höhe mitten im Gletschergebiet kann böse Folgen für die Augen haben. Kurzerhand werden wir alle ab sofort im 10 Minuten-Rhythmus unsere Gletscherbrille an Heidrun weiterreichen.

Nach dieser Pause nehmen wir wieder unsere Rucksäcke auf und streben zum sogenannten Inneren Kofel am Cevedalepass entgegen. Dieser Ort ist in der Karte mit  „3 Kanonen“ bezeichnet. Der Platz heißt so weil hier drei Kanonenrohre aus dem 1. Weltkrieg liegen. Bei den Kanonen handelt es sich um italienische 149 - G Geschütze vom Hersteller Arsenale in Turin. Jedes Rohr hat ein Gewicht von ca. 3,3 Tonnen und hatte eine Reichweite von über 10 Kilometern. Man stelle sich nur die Mühen und Strapazen vor, diese Kanonen hier herauf zu schaffen.

Der weitere Weg führt nun vom Inneren Kofel über den Zufallferner. Der Zufallferner ist einer der längsten Eisströme in diesem Gebiet. Vorbei an imposanten Spalten führt unsere Route. Wir versuchen möglichst in einer Spur gehen und dabei das Seil straff halten. Hubert führt uns durch dieses Labyrinth aus Spalten. Das haben wir uns alle schon einmal gewünscht so durch das Spaltengewirr zu gehen. So mancher eingeschlagene Weg führt in eine Sackgasse so dass wir auch schon mal umkehren und einen neuen Weg suchen müssen. Hubert scheint die Sache auch richtig Spaß zu machen und so genießen wir alle dieses tolle Abenteuer.

Am Ende des Zufallferners legen wir die Ausrüstung ab und steigen über die Endmoräne zur Martellhütte hinab.

An der Martellhütte angekommen, gönnen wir uns erst einmal einen Apfelstrudel und Cappuccino und lassen den Wandertag bei gemeinsamen Erinnerungen und einem Williamsbrand ausklingen. Der Weg hinab zur Zufallhütte ist ja nur noch kurz.

8. September 2009

Nach den Erlebnissen und Erfahrungen der letzten Tage wollen wir heute eigenständig einen Gletscher überqueren. Wir wollen die Cima Marmotta oder auch Köllkuppe, wie sie mit deutschem Namen heißt, besteigen. Den uns schon bekannten Weg zur Martellerhütte bewältigen wir im Schatten der Berge.

Immer wieder fangen sich unsere Blick am Cevedale und den Zufallspitzen die im noch frühen Sonnenlicht grüßen. Auf dem Weg werden wir den ganzen Tag Wege und Gipfel für uns alleine haben, denn uns begegnet hier oben kein einziger Mensch.

Unsere kleine Gruppe nährt sich dem Gletscherschliff der mit einiger Reibungskletterei überwunden werden muss. Malerisch liegen die kleinen Gletscherseen im rötlichen Gestein. So früh am Morgen sind sie bei diesen tiefen Temperaturen noch überfroren. Am Gletscher angekommen versuchen wir mögliche Spalten ausfindig zu machen und planen unsere Route. Dabei helfen wieder einmal Wolfgangs gute Kenntnisse des Gebietes. Er hat vor einigen Jahren eine Wintertour zur Cima Marmotta unternommen.

Wir legen unsere Gletscher-Ausrüstung an und Wolfgang bindet die Achterknoten in das Seil. Es ist tatsächlich für jeden ein Knoten vorhanden. Die überschüssigen Seilenden verstauen Wolfgang und ich in unseren Rucksäcken ehe wir uns auf den Weg machen. Wir haben Glück und können eine bereits bestehende Spur nutzen. Im strahlenden Sonnenschein gewinnen wir langsam an Höhe. Dieses erste Teilstück des Gletschers ist eher flach.

Zum Gipfel der Cima Marmotta geht es nun auf der Skiroute steiler im Eis hinauf und erfordert ein präzises Setzen der Eisen. Einen Fehler wollen wir uns hier nicht erlauben. Schwierig gestaltet sich der Übergang vom Eis zum Fels. Denn ständig nach rutschendes Gestein behindert einen sicheren Aufstieg. Nach wenigen Höhenmetern stehen wir auf festerem Boden und erklimmen leichten Fußes den Gipfel auf dem wir uns Zeit für eine ausgiebige Pause gönnen. Die Cima Marmotta ist ein herrlicher Aussichtsberg.

Nun gehen wir über den Kamm in Richtung Westen um den Sommerweg als Rückweg zu nutzen und damit einen leichteren Weg auf den Gletscher zurück zu finden. Am Gletscher legen wir wieder die Steigeisen an und machen uns dann auf den Rückweg.

Am Gletscherfuß suchen wir uns wieder ein windstilles Pausenplätzchen. Die Seen von heute Morgen locken mit ihrem Anblick. Allerdings nicht zum Baden sondern zum Betrachten und verweilen. Der Rückweg führt uns wieder über die Marteller-Hütte auf der wir einkehren und ein letztes Mal deren Gastfreundschaft genießen ehe wir wieder zur Zufallhütte absteigen.

9. September 2009

Die letzte Wanderung unserer gemeinsamen Zeit führt uns auf dem Weg der sogenannten 3-Tälerwanderung. Hier geht es zunächst in Richtung der Vertainen und dann hinüber in das Pedertal bis wir das Tagesziel, die Lyfialm in 2.165 Metern Höhe erreichen. Von hier aus wandern wir über das Hotel „Enzian“ zurück zur Zufallhütte.

Für den letzten Tag unserer gemeinsamen Zeit hier im Martelltal, haben wir uns die 3-Täler Wanderung ausgesucht. Da sich bei uns irgendwie festgesetzt hat, dass es sich um eine leichte Almenwanderung handelt, beschließen wir, in kurzen Hosen zu wandern. Dem Gruppenzwang sei Dank, denn bei gerade 8 Grad plus kostet es schon ein wenig Überwindung. Aber im Laufe des Tages soll es ja auch noch wärmer werden.

Wir steigen in Blockkletterei in Richtung des Talbodens des Pedertals. Ohne nennenswerte Steigungen führt der Weg nahezu auf einer Ebene in einer Höhe von ca. 2.400 Metern am Berghang entlang. Es stellt sich heraus, dass es sich keinesfalls um eine leichte Almwanderung handelt, denn auf diesem Teilstück ist Trittsicherheit ein Muss.

Als wir an der Lyfialm angekommen sind lassen wir uns den guten Südtiroler Speck, Kaminwurzen und Nudelsuppe schmecken und machen eine letzte Pause. Den Weg über die Enzianhütte und dann wieder hinauf zur Zufallhütte, auf der wir die diesjährige Zeit ausklingen lassen legen wir in Gespräche vertieft zurück. Melancholisch genießen wir den letzten Abschnitt.

Hinter uns liegen tolle Wanderungen, schöne und spannende Erlebnisse. Wir haben ein wunderbares Stück Südtirols kennenlernen dürfen und sind in diesem Jahr vom Wetter wahrlich verwöhnt worden. Sowohl auf den Touren wie auch in der gemeinsamen Zeit auf der Hütte hatten wir wieder viel Freude an- und miteinander. Wir hoffen noch viele Wanderungen gemeinsam erleben zu dürfen.